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Simon Schnetzer im Interview zu 'Junge Deutsche'

05.04.2015

 

Was hat dich dazu bewegt, dich mit Meinungsforschungsprojekten zu befassen? Und was fasziniert dich an dem Thema?
Ich habe Volkswirtschaft studiert und wollte die Welt verbessern. Nach tollen Stationen bei der UNO in Genf, Ostafrika und London wollte ich nicht mehr nur über Weltverbesserung politisch reden, sondern machen. Und da ich in vielen Gesprächen mit jungen Menschen eine gewisse Unzufriedenheit spürte, wollte ich herausfinden und sichtbar machen, wie Deutschland aus ihrer Sicht besser wäre. Ich schwang mich 2010 einfach auf den Sattel und fuhr couchsurfend für zwei Monate durch ganz Deutschland, hielt am Wegrand an und führte Interviews mit jungen Leuten. Danach schrieb ich eine Studie über die jungen Deutschen und veröffentlichte sie. Daraus wurde das Projekt „Junge Deutsche“.

 

Erkläre uns doch kurz dein Projekt ‚Junge Deutsche‘.
Ich habe das Projekt 2010 gegründet und radelte für die erste Tour allein durch Deutschland. Seit 2012 führe ich das Projekt in Kooperation mit der Servicestelle Jugendbeteiligung durch und machte mich wieder auf große Deutschlandtour, diesmal zusammen mit Diana Rychlik und mit vielen Stops in Jugendtreffs, bei Vereinen und Gemeinden, wo wir Workshops für Jugendbeteiligung gaben. 2013 wurden wir dafür mit dem Online-Partizipationspreis geehrt und erhielten finanzielle Unterstützung für die Projektdurchführung von der EU (Jugend in Aktion), der Landesregierung NRW und von 50 Privatpersonen über Crowdfunding. Am 12.12.2014 haben wir die neue Studie „Junge Deutsche 2015“ hier veröffentlicht. Die Grundlage für diese Studie sind 207 Interviews, die Diana Rychlik, ich, sowie viele Interviewer in Stadtstudien deutschlandweit führten und eine Online-Befragung, an der sich insgesamt 5.070 junge Leute beteiligten. Besonders spannend sind die Ergebnisse, weil wir zu den Statistiken immer auch die Geschichten haben und greifbar machen können, warum das so ist.

 

 

Was unterscheidet ‚Junge Deutsche‘ von anderen Studien über die Jugend in Deutschland?
„Junge Deutsche 2015“ ist die größte aktuelle Erhebung über das Erwachsenwerden in Deutschland und basiert auf der Methodik der partizipativen Aktionsforschung. Das Projekt ist einzigartig, weil wir junge Menschen selbst zu den Gestaltern und Durchführern des Projekts machen. Eine relevante Frage ist folglich jugendlich formuliert und enthält, was junge Menschen selbst für wichtig halten. Außerdem ist die Studiendurchführung mit der nationalen Fahrradkampagne und den vielen Workshops für die Öffentlichkeit sichtbar: jede und jeder kann mitmachen. Unsere Ergebnisse sind besonders, weil sie die vielen Interviews und Geschichten aus ganz Deutschland aufgreifen, um Zusammenhänge zu erklären und zu veranschaulichen.

 

Was hat dich dazu gebracht, dieses Projekt zu starten?
Ich wollte die Welt verbessern, indem ich jungen Menschen eine einfache und moderne Form der politischen Beteiligung gebe. Anfangs hieß es noch das „What Will We Be?“-Projekt, doch ich wollte in Deutschland eine Methodik dafür entwickeln, wie das Projekt lokal relevant und gleichzeitig global wirkungsvoll sein kann. Nachdem ich zuvor als Nachhaltigkeitsbeauftragter bei der UNO in London gut verdient hatte, konnte ich es mir leisten das Projekt zu starten und 2010 für zwei Monate mit dem Rad durch ganz Deutschland zu fahren.

 

 

Am 12.12.2014 wurde die neue Studie „Junge Deutsche 2015“ veröffentlicht. Wie haben sich die Ergebnisse seit der ersten Umfrage von 2011 verändert?
Zunächst mal hat sich das Projekt verändert. Seit 2012 liegt die Koordination des Projekts bei meiner Firma Datajockey und wir kooperieren mit der Servicestelle Jugendbeteiligung in Berlin und ihren regionalen Servicestellen. Anstatt die neue Studie wieder aus meinen Ersparnissen zu finanzieren, haben die EU aus den Töpfen „Jugend in Aktion“, das Land Nordrhein-Westfalen und die Firma Vaude die Durchführung des Projekts finanziell unterstützt. Dadurch konnten wir statt 800 Teilnehmer beim 1. Mal diesmal über 5.000 Teilnehmer erreichen. Außerdem gab es durch die Tour und die lokalen Workshops Stadtstudien und wir können die Ergebnisse lokal auswerten.
Für die konkreten Ergebnisse möchte ich ein paar Beispiele geben:
- Konstant geblieben ist die Unzufriedenheit junger Menschen mit der Politik und wie wenig sie sich beteiligt fühlen.
- Die Wahrnehmung von Digitalisierung als ein neues Phänomen ist im Hinblick auf die Befragung vor 4 Jahren deutlich gesunken.
- Zugenommen hat der Leistungsdruck und die Getriebenheit, die junge Leute spüren.

 

Was siehst du als stärkste und wichtigste Tendenz?
Wichtige Ergebnisse sind aus meiner Sicht:
1. Die allgemeine Lebenszufriedenheit junger Menschen in Deutschland ist sehr hoch, auch wenn es Gegenden gibt, für die das nicht zutrifft.
2. Leistungsdruck ist der prägendste Einfluss junger Menschen, was nur für wenige motivierend wirkt. Die Mehrheit junger Leute fühlt sich dadurch gestresst.
3. Erwachsenwerden ist kein Phänomen der Anfang 20-Jährigen mehr. Das Erwachsenwerden in Deutschland zieht sich heute bis Ende 30.
4. Arbeit muss Spaß machen und soll nicht sinnfrei sein. Selbstverwirklichung durch den Beruf hat mittlerweile einen sehr hohen Stellenwert.
5. Politik ist ein schwieriges Thema. Wenige engagieren sich in den traditionellen Beteiligungsformen, nur wenige sehen junge Interessen durch die Politik ausreichend vertreten und sich mit einer Partei zu identifizieren fällt zunehmend schwerer.

 

Wie sehen die Jugendlichen ihre Zukunft in Deutschland?
Manche fühlen sich als Gewinner, weil sie alles so tun, wie die Gesellschaft es von Ihnen erwartet: Erfolg in den klassischen Kategorien – Noten, namhafter Arbeitgeber und keine kritischen Gedanken über die Zukunft. Manche sehen sich als Verlierer, weil ihr Lebensentwurf nicht in das Gesellschaftskonzept hineinpasst und wofür sie arbeiten und sich engagieren nicht honoriert wird. Alles in allem würde ich sagen „gemischte Gefühle“: Viele sehen die großen globalen Drohgespinste am Horizont und sehen die Zukunft nicht rosig. Im Hier und Jetzt geht es ihnen aber meist ganz gut und sie haben keine Lust sich den Spaß durch abstrakte Drohgespinste wie Klimawandel, Staatsverschuldung oder Gemeindesterben verderben zu lassen. Am Ende sind sie pragmatisch und weltoffen und sagen: „Na und, dann geh ich halt woanders hin“.

 

Was bedeutet das für die Politik von heute?
Ich habe das Gefühl, dass unsere Politik in Deutschland glaubt, sich als System nicht mehr ändern zu müssen und künftige Generationen sich an das bestehende System anpassen werden. Das halte ich für einen großen Irrtum. Junge Menschen erben ein System, das auf stetiges Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum ausgerichtet ist und so nicht weiter funktionieren wird.
Als ich in Griechenland mein Konzept für Jugendbeteiligung vorgestellt habe, wurde ich ausgelacht. „Ach Simon, bist du wirklich so naiv? Wir brauchen einen Umbruch und ein neues System! Wir dürfen nicht durch Beteiligung die schlechte Arbeit der Politik legitimieren!“

So weit sind wir in Deutschland noch nicht. Und damit es nicht soweit kommt, müssen junge Menschen
1. Perspektiven für sich in Deutschland sehen,
2. Sich mit der Politik und deren Entscheidungen identifizieren können,
3. Das Gefühl haben, ehrlich und wirkungsvoll an Prozessen beteiligt zu sein.

In diesem Zusammenhang sind auch die Ergebnisse des Jugendsymposiums von „Junge Deutsche“ relevant – 10 Forderungen junger Menschen an die Politik.

 

Recruiting ist ein wichtiges Thema in unserer täglichen Arbeit, weil die meisten unserer Kunden kleine Mittelstandsbetriebe sind und keine großen bekannten Marken. Was meinst du sollten Arbeitgeber machen, um junge Leute als zukünftige Mitarbeiter zu gewinnen?
Employer Branding ist ein spannendes Thema. Es gibt Firmen, die haben einen super Ruf als Arbeitgeber, weil sie groß sind jeder ihren Namen kennt – Eltern, Lehrer und Freunde. In den Phasen des Erwachsenwerdens trägt der Name einer bekannten Firma zum Selbstwertgefühl bei. Damit sind die zwei wichtigsten Anküpfungspunkte für Employer Branding genannt:
1. Ein Arbeitgeber muss als Marke irgendwie greifbar und bekannt sein, damit mir bewusst ist, warum ich mich für diese oder jene Firma entscheide.
2. Mein Arbeitgeber soll eine Identität haben, die zu einem positiven Selbstwertgefühl in meiner Familie und meiner Peer-Group führt.
In meiner Tätigkeit als Jugendexperte und Innovationstrainer führe ich Strategieworkshops über Personalmarketing 3.0 durch. Da geht es darum, wie man mit besserem Zielgruppenverständnis und Konzepten über eine persönliche Ansprache zu besseren BewerberInnen kommt. Ein Beispiel hierfür sind unsere Interview- & Strategie-Workshops mit Azubis. Die Kommunikationsfähigkeit von Unternehmen mit jungen Zielgruppen wird künftig ein wichtiger Wettbewerbsfaktor sein, wenn bedingt durch den demographischen Wandel und die Abwanderung von jungen Leuten der Personalpool immer kleiner wird.

 

 

Was wollen junge Menschen heutzutage erreichen? Hat sich der Blick auf Zukunft und Karriere stark verändert?
Diese Frage ist recht leicht zu beantworten: Junge Leute wollen ein gutes Leben und das wollen sie jetzt. Der Blick in die Zukunft ist nicht so rosig, aber davon wollen sie sich heute nicht den Spaß verderben lassen. Warum auch, sie haben ja nicht das Gefühl, dass sie etwas verändern könnten. Und warum sollten sie sich heute mit all den Problemen beschäftigen, wenn die Probleme morgen oder übermorgen eh kommen? Man könnte das einen fatalistischen Pragmatismus nennen. Wobei fatalistisch übertrieben ist, da die heute junge Generation in Deutschland noch nie Hunger leiden musste.
Was die Karriere angeht, kommen wir nochmal auf den Leistungsdruck zu sprechen. Es herrscht ein enormer Druck unter den jungen Leuten zu den Besten gehören zu müssen, weil der Wettbewerb um Ausbildungs-, Studien- und Arbeitsplätze so hoch ist. Im Hinblick auf die Karriere gibt es noch eine weitere wichtige Entwicklung: Selbstverwirklichung und Freizeit haben heute einen viel höheren Stellenwert als früher. Vielleicht war der Stellenwert früher auch derselbe, aber heute erlauben sich junge Mitarbeiter Rechte wie z. B. Zeit für Kinder oder Arbeit im Homeoffice einzufordern, die früher noch undenkbar waren.

 

Wo sehen sich Jugendliche nicht wahrgenommen oder vertreten?
Es geht weniger um konkrete Entscheidungen, als mehr um die Prozesse dahinter. Junge Leute haben das Gefühl, dass Politiker sich nicht für ihre Anliegen interessieren und sehen das in deren Entscheidungen bestätigt. Es gibt junge Leute, die sich in Parteien, Verbänden und Gewerkschaften engagieren. Die erleben, wie sie Politik beeinflussen können – aber sie sind wenige. Die Mehrheit findet Politiker uncool und entzieht dem System die Legitimation, ohne es richtig zu kennen.

 

Wurden einige Anregungen deiner Forschungsergebnisse von der Politik aufgegriffen und umgesetzt? Oder wie wollt ihr konkrete Änderungen der Verhältnisse ermöglichen?
Als ich das Projekt „Junge Deutsche“ gründete, hatte ich die Vision, dass aus diesem Jugendforschungs- und Beteiligungsprojekt eine neue Form der demokratischen Beteiligung entstehen wird. Wenn ich heute so zurückblicke, haben wir – ich, die Servicestelle Jugendbeteiligung, unsere Interviewer, und viele andere in der Zwischenzeit viel erreicht:
- die Forschungsergebnisse werden von zahlreichen Politikern, Wissenschaftlern und Engagierten genutzt, um ihre Arbeit oder Themen zu rechtfertigen
- im Lokalen, wie in Kempten z. B., sind aus den Ergebnissen der Stadtstudie Wahlprüfsteine für die Kommunalwahlen geworden und sie sind in die Arbeitsprogramme sämtlicher Parteien eingeflossen
- auf nationaler Ebene konnten wir im Rahmen des nationalen Jugendsymposiums die 10 Forderungen junger Leute entwickeln und Mitglieder des Bundestags haben diese unterzeichnet
- eine Fortführung des Projekts ist vorgesehen, um weiterhin die Anliegen junger Menschen sichtbar zu machen, ihre Forderungen in die Politik zu tragen und ein Monitoring für die Umsetzung der Forderungen einzusetzen – bislang ist dies aus finanziellen Gründen leider nicht möglich.

 

Was kommt nach der Generation Y?
Nach der Generation Y kommt, was in der albernen Generationen-Labelei längst fällig ist: das Bewusstsein, dass ein Generationenlabel immer nur eine Gruppe einer Generation meint und nie für die ganze Generation sprechen kann. Ein für alle Mitglieder einer Alterskohorte gleichermaßen prägendes Ereignis gab es vermutlich seit dem letzten Weltkrieg in Deutschland nicht mehr. Wenn ich doch ein Label benutzen sollte, dann würde ich die nächste Generation die Generation schwarz-rot-gold nennen. Ja, vielleicht ist es das. Eine Generationenbezeichnung, mit der die Vielschichtigkeit und „wir lassen uns nicht über einen Kamm scheren“-Problematik sichtbar wird. Diese Bezeichnung hätte noch einen weiteren Vorteil – sie würde nicht einfach global übertragbar erscheinen. Denn während in Spanien die hoffnungslose Generation ausgerufen wurde gab es in Syrien wieder eine Kriegsgeneration und in Deutschland, ja in Deutschland gibt es jetzt die Generation schwarz-rot-gold.

 

Welche Projekte möchtest du mit deiner Firma Datajockey umsetzen?
Datajockey ist noch ein junges Unternehmen und seit ich es vor vier Jahren gründete, hatten wir mit Kunden wie SOS Kinderdörfer weltweit, der Gewerkschaft IG BCE, mit Google Deutschland oder der Universität Siegen tolle Kooperationsprojekte. Durch diese Erfahrungen ist mir klar geworden, wofür unsere Arbeit geschätzt wird und wofür wir Leidenschaft haben. Wir wollen für Auftraggeber arbeiten, die ihre Kunden, Mitarbeiter oder Mitglieder an ihren Prozessen beteiligen wollen. Ein Datajockey-Projekt ist immer ein Forschungs- und ein Beteiligungsprojekt zugleich, mit dem wir verschiedene strategische Ziele erreichen können: wichtige Erkenntnisse gewinnen, Bewusstsein für Angebote schaffen, eine Gemeinschaft aufbauen, gemeinsam mit der Zielgruppe Strategien entwickeln oder auf Veranstaltungen wie einem Barcamp die Akteure vernetzen. Für reine Forschungsarbeit empfehlen wir gerne andere Institute. Für uns wird es spannend, wenn wir aus Forschung ein Beteiligungsprojekt machen und mit den Ergebnissen Trainings durchführen können.

 

 

Ein schönes aktuelles Projekt, das wir mit dem Königsteiner Management Institut gemeinsam durchführen, ist „Young Travelling“ – über das Reise- und Buchungsverhalten junger Leute. Um das herauszufinden, geben wir deutschlandweit Azubis von Reisebüros Workshops, in denen wir sie zu Interviewern qualifizieren. Die Chefs der Azubis bezahlen für das Training, damit ihre Schützlinge lernen, mutiger auf andere Menschen zuzugehen und deren Bedürfnisse besser zu verstehen und zu bedienen. Zum Abschluss eines Workshoptages nutzen wir das neu gewonnene Wissen der TeilnehmerInnen um daraus strategische Empfehlungen zu bestimmten touristischen Herausforderungen zu entwickeln.

 

Eines noch. Ich war in den letzten Jahren viel als Speaker, Trainer und Moderator im Einsatz und das macht mir richtig Spaß. Und wenn man meinen Referenzen glaubt, dann mache ich das auch sehr gut. Daher habe ich mich entschieden, künftig mein Angebot auf der Webseite www.simon-schnetzer.com sichtbar zu machen und zu Studienergebnissen und spannenden Themen zu bloggen.

 

Vielen Dank Simon für das Interview und uns viel Erfolg beim gemeinsamen die Welt verändern. Das Interview führte Nuna Hausmann.